Kanada 2019

In 80 Stunden quer durch Kanada – im Zug

Züge – wenn es etwas gibt, was in Kanada wirklich auffällig ist, dann sind das die unfassbar langen und immer lauten Züge. Wenn sie gerade nicht hupen, arbeiten sie sich kreischend und ratternd vorwärts, durchqueren in Schlangenlinien kilometerlange Tunnel durch die Rockies und sorgen für maximalentschleunigende Wartezeiten an Bahnübergängen. Wer hier einen Zug durchlassen muss, kann in Ruhe zwischendurch noch einen Einkauf erledigen oder ein Pläuschchen mit anderen Verkehrsteilnehmern halten. Wenn so eine gut vier Kilometer lange Stahlschlange an Dir vorbeikriecht, hängst Du scheinbar in einer Endlosschleife fest. Den einen beruhigt das. Andere hatten sicher schon Gewaltfantasien, als sich vor ihrer Nase eine Schranke gesenkt hat…

Warum ich gerade über Züge rede? Naja… eine Sache habe ich auf meinen vorherigen drei Kanadareisen nie gemacht: ich bin nie mit dem Zug gefahren. Das wollte ich jetzt dringend nachholen. Als ich dann darüber nachdachte, wie ich im Dezember von Jasper nach Toronto reise, habe ich mich gegen das deutlich günstigere und schnellere Fliegen entschieden und mir ein Zugticket gebucht. Drei Tage sollte die Reise dauern. Die Zeit wollte ich mir nehmen.

Mitte Dezember stand ich dann am Bahnhof in Jasper vor meinem Transkanada-Zug. Natürlich war es keiner dieser vier Kilometer langen Frachtzüge, sondern der „The Canadian 2“ von Via Rail. Der Zug hat einige Schlafwagen und 2 Speisewagen sowie Waggons mit Aussichtskuppel und Tischen mit Gesellschaftsspielen. Ich hatte mir ein Bett gebucht – was im Nachhinein die beste Entscheidung überhaupt gewesen ist. Denn nur mit einem Liegeplatz kommt man auch in die Speisewagen, Essen im Ticket inklusive.

Ein Liegewagen besteht aus 2 Bädern mit Toilette, einer Gemeinschaftsdusche und unterschiedlichen Schlafmöglichkeiten. Man kann von einem Doppelbett im Gang bis hin zu einer Einzelkabine mit eigener Toilette alles bekommen. Ich stelle euch mal anhand von Bildern das Doppelbett im Gang vor, in dem ich geschlafen habe.

Der Vorteil am unteren Bett besteht darin, dass es ein Fenster hat. Obwohl man dafür ein bisschen mehr bezahlen muss, lohnt sich diese Investition auf jeden Fall. Denn so hat man einen freien Blick auf das vorbeiziehende Land – 27/7-Live-Bild-Monitor gewissermaßen, von den Nachtzeiten mal abgesehen… Hier mal ein Foto, das ich aus meinem Bett heraus aufgenommen habe:

Jetzt könnte man denken, dass es aber unangenehm sein muss mit komplett fremden Menschen so nah aneienander zu schlafen, denn immerhin schläft man quasi direkt am Gang. Das hatte ich zwar auch befürchtet, dem ist aber nicht so. Durch blickdichte Vorhänge, die komplett verschlossen werden können, hat man Abends quasi ein ganz eigenes Kämmerchen für sich. Wir haben uns in meinem Abteil sogar darauf geeinigt, dass wir die Betten auch Tagsüber behalten und nicht zu normalen Sitzen umbauen lassen. Dadurch konnte ich mich jederzeit in mein Bett legen und gemütlich aus dem Fenster gucken.

Das habe ich allerdings sehr selten getan. Eine Sache, die ich an der Zugfahrt geliebt habe war, dass ich sehr viele und vor allem sehr unterschiedliche Menschen kennengelernt habe, wie etwa eine Schauspielerin aus meiner kanadischen Lieblingsserie, ein Schriftsteller und ein Deutscher in meinem Alter. Wir waren eine Gruppe von 8 Menschen aus aller Welt und haben gemeinsam Spiele gespielt, uns über Gott und die Welt unterhalten oder im Panoramawagen die Sonnenaufgänge beoachtet.

Kommen wir also nun zu einem weiteren Highlight: Das Essen. Oh Mann! Ich bin heute noch sprachlos. Es gab morgens eine super Auswahl fürs Frühstück. Gesund oder richtig schön fettig? Egal – man kann auch beides haben. Mittags und Abends konnte man dann zwischen Suppe oder Salat als Vorspeise, vier Gerichten als Hauptspeise und zwei Nachspeisen entscheiden. Irgendwann sind wir dann dahinter gekommen, dass auch beide Vorspeisen und beide Nachspeisen möglich sind. Hier mal ein paar Beispiele:

Wir halten fest: Das Essen ist einfach der absolute Hammer und das Highlight eines jeden Tages (da waren wir uns ohne Ausnahme einig!)

Auch aussteigen konnten wir an manchen Stationen und so kam es dazu, dass man irgendwo bei -20 Grad aus dem Zug hüpft, um mal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Eines muss man den kanadischen Zügen nämlich echt lassen: Sie sind im Vergleich zu unseren ICEs echt langsam, aber dafür etwa fünfmal so laut und ruckeln zehnmal so sehr. Aber das gehört zum Abenteuer dazu und 5 Minuten durch die Gänge des Zuges zum Speisewagen zu laufen, während man ständig gegen die linke und anschließend gegen die rechte Wand fällt – man gewöhnt sich daran…!

Wir sind im Endeffekt 8 Stunden zu spät in Toronto angekommen. Das war aber gar kein Problem, denn die Leute mit Anschlusszügen wurden von Via Rail dann falls nötig umgebucht oder bekamen sogar über Nacht ein Hotelzimmer – traurig war also wirklich niemand, zumal sich das entschleunigte Reisen natürlich vorher schon herumgesprochen hatte. In Toronto wurde ich von der Cousine meines Vaters abgeholt, die 2 Stunden von Toronto entfernt wohnt. Bei ihr bin ich über Weihnachten und fliege dann nach 5 1/2 Monaten erst einmal wieder zu meiner Familie nach Deutschland.

Mein Fazit: Die Zugfahrt war die perfekte Entscheidung. Jeden Morgen in einer anderen Zeitzone, einer anderen Provinz und vor allem einer ganz anderen Natur aufzuwachen … der Hammer. Die Fahrt im Canadian hat mich aber nicht nur durch 4 Provinzen geführt, ich durfte auch ganz liebe Menschen kennenlernen. Außerdem habe ich zweimal am Tag ein exzellentes 3-Gänge-Menü bekommen und konnte morgens ein gutes Frühstück genießen. Schlafen fiel mir persönlich etwas schwer, weil der Zug laut und ruckelig war, aber entspannend waren die 3 Tage trotzdem. Nur das Rattern über die Gleise hatte ich noch zwei Tage nach Ankunft in Toronto im Ohr… Trotzdem: Ich würde es jederzeit wieder machen und meiner Meinung nach hat man mit ein wenig Zeit im Gepäck von einer Zugfahrt sehr viel mehr als von einem Flug.

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